Stimme aus dem Off
Während eines Rennens wird hart gefahren und viel geredet. Das Team in der Box ist ständig in Kontakt mit Mensch und Maschine. Eine Hightech-Kommunikation mit strengen Regeln. Und im Ernstfall nur etwas für kühle Köpfe.
Draußen auf der Rennstrecke, wo Mann und Maschine auf Hochtouren laufen, muss man immer mit allem rechnen. Während sich das Fahrzeug irgendwo auf dem Kurs bewegt, gilt es deshalb, die Technik im Auge zu behalten. In jeder Sekunde. Plötzlich erlischt da ein Balken im Diagramm. Die Zahl für die Stromspannung ist null. Eine rote Null. Alarm. Der Ingenieur am Telemetriemonitor in der Box weiß, dass der
Wohlverstandene Kurzbefehle fliegen über den Interkomm-Kanal zwischen dem Renningenieur Mathieu Galoche und den Experten im Hintergrund hin und her. „Emergency shutdown.“ „Start backup program.“ Die Sprache ist immer Englisch, der kleinste gemeinsame Nenner im multinationalen Team. Übersetzt in ganze Sätze: Das Not-aus-Programm hat die Hochvoltanlage abgeschaltet, der Fahrer muss sie per Knopfdruck-Kombinationen am Lenkrad neu starten. Er bekommt von der Interkomm-Diskussion nichts mit, er soll ja konzentriert bleiben. Das Team hat die Ursache und die Lage erkannt: Bei einem heftigen Überfahren der Randsteine wurde eine Sicherung ausgelöst, die im Grunde dafür sorgen soll, dass sich bei einem Unfall der Strom abschaltet. „Okay“, geht Galoche nun wieder auf Sendung zu Dumas. „Wir haben die Lösung: Du musst Folgendes machen …“ Die Anweisungen sind kompliziert. Im Prinzip erklärt er Dumas, wie er an seinem mit über 20 Knöpfen übersäten Lenkrad „Alt-Steuerung-Entfernen“ drückt, um das Auto neu zu booten. Mitten im Rennen.
Aber es klappt. „Copy“, „verstanden“, kommt aus dem Auto. Der Ingenieur an der Telemetrie hat da längst gesehen, dass es funktioniert. Der Balken ist wieder voll da. Via Interkomm meldet er dem Renningenieur Vollzug. Der Neustart der Elektronik hat zwar etwas Zeit gekostet, aber jetzt sind die Energierückgewinnungssysteme wieder erwacht, der Wagen rekuperiert und boostet wieder.
Die Kommunikation zwischen dem Rennwagen und der Box funktioniert so: Der
Galerie.
Wer redet mit wem? Um den Fahrer nicht über Gebühr zu stören, wird er nur von einem einzigen Menschen angesprochen – seinem Renningenieur. Jedes Fahrzeug hat einen, und der sitzt im Kommandostand an der Boxenmauer. Er wiederum erhält eine Vielzahl von Informationen. Die Ingenieure halten ihn auf dem Laufenden über den Fahrzeugzustand, über das Verhalten der Konkurrenz. Der Strategieingenieur diskutiert mit ihm Vorschläge für die entsprechende Situation, der Crew Chief will wissen, ob denn beim nächsten Tankstopp Reifen gewechselt werden sollen und wenn ja, welcher Reifensatz aufzuschnallen ist.
Der Renningenieur braucht einen verdammt kühlen Kopf. Seine Funkkanäle sind nicht priorisiert, er hört die Leute gleichzeitig sprechen. Und niemals darf er den Fahrer überhören. Wenn der meldet, dass sich das Fahrverhalten ändert, die Reifen abbauen oder sich ein Defekt abzeichnet, besteht sofortiger Handlungsbedarf. Aber bloß nichts überstürzen! Wenn der Fahrer funkt, dass es mit den profillosen Slicks im einsetzenden Regen nicht mehr geht, muss der Renningenieur sekundenschnell abwägen. Sagt ihm der das Satellitenbild beobachtende Ingenieur, dass es nur in dem einen Streckenabschnitt regnet und der Niederschlag gleich aufhören wird, und funkt ihm parallel der die Wettbewerber observierende Kollege, dass die Konkurrenz bereits zum Wechsel auf Regenreifen die Box ansteuert, kann es sich lohnen, den Fahrer zu beruhigen und draußen zu lassen. „Keep the car on track, rain will stop soon, don’t worry, you are doing well, mate.“
Die sonore Stimme von Stephen Mitas, dem Renningenieur von Auto Nummer 20, versteckt den Stress. Trotzdem: Ein bisschen Risiko ist immer dabei. Pokern um den kleinen (Zeit-)Vorteil gegenüber der Konkurrenz gehört im Motorsport zum Geschäft. Vorsichtshalber funkt der Renningenieur an den Crew Chief und die Mechaniker: „Bereit machen für Auto Nummer 20. Komplettservice. Tanken, Reifen- und Fahrerwechsel.“ Brendon Hartley setzt den Helm auf und streift die Handschuhe über. Reifensatz Nummer vier liegt bereit.
Die Rennleitung hört mit. Funkt ein Pilot aus einem LMP1-Fahrzeug – der Königsklasse in der Sportwagen-WM – beispielsweise „Blue flag, blue flag!“, moniert er damit, dass er beim Überrunden behindert wird. Die Rennleitung muss dann sicherstellen, dass der zu Überrundende tatsächlich von den Streckenposten die blaue „Mach-Platz-Flagge“ gezeigt bekommt, und gegebenenfalls den Fahrer, der das Signal ignoriert, bestrafen. Und zur Unterhaltung der Zuschauer gerät das Zwiegespräch zwischen Fahrer und Renningenieur manchmal auch ins Fernsehen. Manche Codes verstehen aber nur die Eingeweihten, denn auch der Gegner hört ja zu.
Moderne Kommunikation bei Langstreckenrennen bedeutet stundenlang volle Aufmerksamkeit für alle Beteiligten. Ständig auf Sendung sein. Ein Wahnsinn an Reizüberflutung. Äußere Umstände können dazu beitragen, dass der Funk während eines Rennens auch heutzutage noch ausfallen kann. Dann bleibt nur wie in grauer Vorzeit die Boxentafel als letztes Kommunikationsmittel zwischen Team und Fahrer. Aber darauf hätten sich die Informationen zum Neustart der komplizierten Elektronik weder unterbringen lassen, noch hätte Dumas sie bei der Vorbeifahrt erfassen können. In der Nachbesprechung, jetzt ohne Kopfhörer und in relativer Ruhe, wird jeder Schritt nachvollzogen. Was ist zu tun, um die Voraussetzungen für die automatische Abschaltung des Systems zu präzisieren? Und wie lässt es sich schnellstmöglich wieder aktivieren? Am Ende der Diskussion steht die Abkürzung „Strat“ für Strategie mit einer zweistelligen Ziffer. Ein neuer Kurzbefehl für den Funkverkehr ist geboren. Und der würde notfalls auch auf die Boxentafel passen.
Text Heike Hientzsch
Fotografie Jiří Křenek