Porsche - Zurück in die Zukunft

Zurück in die Zukunft

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Das breite Heck mit stolzem Spoiler sorgt für entsprechende Werte: Kein Auftrieb hinten, dafür steigen die Gebraucht-Preise.

Der Porsche 959 feiert 30. Geburtstag. Damals, 1985, war er dank einer Reihe von technischen Finessen seiner Zeit weit voraus – und er beeindruckt auch heute nicht minder durch seine Fahreigenschaften.

Frühmorgens im Mai 1987 auf der A6 bei Hockenheim. Erster unabhängiger Test: Der Tacho zeigt Tempo 260, die Drehzahl liegt bei 7600/min, Zeit in den Sechsten zu schalten. Kleine Pause, den kurzen Schaltknüppel in die rechte, hintere Ecke drücken, dann zurück in die Schmauchzone – der Boxermotor im Heck beschleunigt unerbittlich weiter. Drei Spuren plus Standstreifen stehen zur Verfügung, aber die Autobahn scheint immer schmaler zu werden, leichte Biegungen krümmen sich zu Kurven, die Platzhirsche der linken Spur trödeln plötzlich alle dahin.

Wir schrauben uns bis auf 7200/min, das macht gestoppte 317 km/h, die Höchstgeschwindigkeit. Der Geräuschpegel hält sich in Grenzen, Lenkkorrekturen sind überflüssig, Störkräfte bleiben aus, kein Ankämpfen gegen Seitenwind oder Spurrillen. Keine feuchten Hände. Das Auto liegt so stabil wie andere bei 160 oder 130. Du hast die Kontrolle, aber die Arbeit macht die Technik. Sie kümmert sich um die Risiken, überwindet mühelos die üblichen Grenzen motorgetriebener Vierräder. „Er kann Dinge, die Autos nicht können“, schreibt ein britischer Kollege treffend. Vom Fahrer erwartet dieser Überflieger nur zweierlei: höchste Konzentration und solides Verantwortungsgefühl.

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Damals State of the Art, heute klassisch: Innenraum mit Vierspeichen-Lenkrad.

Der Porsche 959: 1985, vor drei Jahrzehnten also, als er auf der IAA stand, galt er als das teuerste, das technisch fortschrittlichste und das schnellste Serienauto der Welt. Und zugleich war er fast das langsamste, wie sich zeigen sollte. Denn von der Unterschrift unter dem Kaufvertrag (bei einer Anzahlung von 50 000 Mark) bis zur Auslieferung vergingen annähernd zwei Jahre. Dabei durften die Kunden schon 1983, quasi als Appetitanreger, auf der Frankfurter Show ein Auto bewundern, das alle optischen und viele technische Merkmale des späteren 959 besaß. Seinerzeit hieß der Porsche noch „Gruppe B“ – allradgetrieben, turbobefeuert, dazu auserkoren, die Rallyekonkurrenz in der noch frischen Wertungsgruppe B aufzumischen. Aber schon bald verdüsterten sich die Aussichten dieser Klasse des Automobilsports, der 959 verlangte nach einer neuen Aufgabe. Die ergab sich dann fast von selbst: Seine technische Ausstattung prädestinierte ihn geradezu zum Leckerbissen für Sportwagen-Connaisseure, zum Traum-Porsche schlechthin. Und zur Demonstration dessen, was die Entwicklungsabteilung in Weissach zu leisten vermag, wenn die Kosten ausnahmsweise keine Rolle spielen.

Zunächst aber wurde der 959 zum „Lernfahrzeug“, wie es Projektleiter Manfred Bantle damals nannte. Technisches Neuland galt es zu betreten, und zwar gleich an allen Fronten. „Da lief dann so manches über unseren ursprünglichen Zeitplan hinaus“, berichtete Bantle. Erschwerend hinzu kam die Porsche-typische Verführung zur Perfektion, den endgültigen Fortschritt im Visier, und nicht den schnellen. Folglich blieb nichts unberührt. Vom 911 überlebte nur die stählerne Karosseriestruktur, hier jedoch eingekleidet in faserverstärkten Kunststoff, dazu Aluminium an Türen und Hauben. Das Ganze aerodynamisch ausgefeilt, denn selbst geringster Auftrieb wäre bei diesem Temponiveau von größtem Übel. Beim 959 betrug er deshalb durchweg null in Tateinheit mit einem vorbildlichen cw-Wert von 0,31.

Bis dato war das meiste davon Zukunftsmusik, die in den Tiefen des Antriebs sodann zu einem atemberaubenden Crescendo anhob: Dieser Porsche leistete sich nicht nur den permanenten Allradantrieb, sondern zugleich den geregelten – ein absolutes Novum zu dieser Zeit. Und ein weiteres Feature der Neuzeit nahm der 959 voraus: Man konnte verschiedene Programme wählen – Trocken, Nass, Eis und Traktion, per Hebel unter dem Lenkrad abrufbar. Eine Kupplung mit Stahllamellen (hydraulisch betätigt und elektronisch gesteuert) führte sodann einen Teil der Kraft bedarfsgerecht nach vorn. Bei konstanter Fahrt waren es 40 Prozent, 20 bei voller Beschleunigung. Und wenn vorn maximaler Grip gefragt war, flossen auch schon mal 50 Prozent über die Kardanwelle und durch das starre Transaxle-Rohr voraus. Ein weiteres Lamellenpaket dieser Art fand sich am Hinterachsdifferenzial, wo es als variable Sperre (bis zu 100 Prozent) fungierte. Weitere Highlights: die eigens entwickelten Runflatreifen (von Bridgestone) und ein allradtaugliches Vierkanal-ABS.

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Die Durchsicht offenbart die technischen Highlights des 959. Herzstück ist der Biturbo-Boxermotor mit Registeraufladung.

Die Kräfte, die es zu verteilen galt, waren erheblich. Der 959 legte die Latte auf 500 Nm und 331 kW (450 PS), vor 30 Jahren der Gipfel im Feld der Serienautos. Er-zeugt wurden diese Werte von einem Sechszylinder-Boxermotor – so weit, so 911. Dieser hier stammte freilich nach guter Porsche-Sitte aus dem Motorsport, wo er unter anderem im 956 seinen Renndienst leistete. Und er war bereits wassergekühlt – ein wenig zumindest, denn vorerst beschränkte sich die Abkehr von der Luft auf die beiden Zylinderköpfe, jeder bestückt mit zwölf Ventilen und zwei Nockenwellen. 2,85 Liter Hubraum genügten dem Kurzhuber, und dass sein Potenzial damit nicht erschöpft war, bewiesen seine sportgestählten Brüder. Im 961, der Rennversion des 959, lieferte er 500 kW (680 PS).

Das Kunststück der zivilen Variante waren folglich weniger die absoluten Werte, sondern deren Herleitung. Sicher, zwei Turbolader taugten auch Mitte der Achtziger nicht mehr zur Sensation, aber zwei, die in sogenannter Registeranordnung arbeiten, schon. Sie waren einmalig. Die Idee: Unten herum bläst eine kleine Abgasturbine für ein schnelleres Ansprechen, bei höheren Drehzahlen kommt dann der Fullsize-Turbo ins Spiel für maximalen Schub bei bis zu einem bar Überdruck. Das Erfolgsgeheimnis steckte in der elektronischen Regelung, um sanfte Übergänge und eine harmonische Leistungsentfaltung hinzubekommen. Weitere Exklusivitäten waren polierte Titanpleuel, Hydrostößel, funktionsfähig bis 8000/min, Nockenwellenantrieb mittels Doppelkette, Trockensumpfschmierung mit 18 Liter Ölinhalt.

Dass der 959 auf seine Art die Zukunft vorwegnahm, ahnten wir damals natürlich. Aber heute wissen wir es. Zehn bis 15 Jahre, das war sein Vorsprung innerhalb der Porsche-Familie, bezogen auf die gesamte Gattung der Sportwagen war er sicher noch größer. Zumindest legt das die Probe aufs Exempel nahe: Wiedersehen mit dem 959, 28 Jahre nach dem ersten Test. Kann es heute immer noch beeindrucken, das einstige Technikwunder? Uns Glückliche, PS-gesättigt und vom Fortschritt verwöhnt. Zwei zeitgenössische Experten assistieren, Rallye-Legende, Porsche-Testfahrer und langjähriger 959-Besitzer Walter Röhrl sowie Roland Kußmaul, Renningenieur und Mitentwickler. Erster Eindruck: Irgendwie ist er ja immer noch ein klassischer Elfer, der 959, trotz Breitheck. Auch innen – aufrechte Sitzposition, die stehenden Pedale, die Instrumente. Du sitzt Schulter an Schulter. Ungeachtet der üppigen Breite (1,84 Meter) kommt einem der 959 schmal vor. Wie ein klassischer 911 eben. Nur die Mittelkonsole ist anders, darunter steckt das Transaxle-Rohr. Auf dem Schaltknopf, wo man die „1“ für den ersten Gang erwartet, steht „G“ wie Gelände – nicht ernst gemeint, nur ein kleiner Trick zur Umgehung gewisser Geräuschvorschriften, verrät Roland Kußmaul.

Welches Programm wählen, welche Dämpfereinstellung? „Einfach alles so lassen“, empfiehlt der Ingenieur augenzwinkernd, heute käme es ja nicht so auf das Feintuning an. Außerdem ist alles trocken und griffig. Im Leerlauf rasselt der 959 wie ein Luftgekühlter und fährt zügig ab. Stramme Kupplung, die spät greift, aber akzeptable Lenkkräfte – schließlich war er der erste Heckmotor-Porsche mit Servolenkung. Unter 4500/min fühlt er sich munter an, aber nicht munterer als ein normaler 911 dieser Periode. Lammfromm ist es, das Turbo-Monster. Und man fragt sich, warum es einem damals den Atem verschlug. Aber dann tut sich hinten etwas. Plötzlich geht es ab, als wäre ein Nachbrenner im Spiel. Die Wucht drückt einen fest in den Wollstoff der Rückenlehne, der Kopf wird zurückgeworfen, die Bestie im Heck erwacht. 7300/min, hochschalten, kurz darauf das Gleiche. Und man ist beeindruckt, schwer sogar, immer noch. Was eigentlich auch nicht überraschen sollte beim Blick auf die alten Messwerte. 3,7 Sekunden auf Tempo 100, 13,3 auf 200, die halten beinahe noch den Vergleich mit dem aktuellen 911 Turbo aus.

„Er beißt nicht“, hatte es noch vor dem Start geheißen. Wenn so ein Spruch allerdings von Walter Röhrl kommt, dem Lenkradartisten, dann wird man skeptisch. „Gehst du vom Gas“, sagt er, „kommt das Heck, gehst du wieder drauf, wird er sofort wieder stabil.“ Aber genau so ist es dann auch. Im 959 tanzt du nicht auf des Messers Schneide, er wirkt vertrauenerweckend. Sicher, Einlenken können die Nachfahren heute präziser, zackiger. Schneller sind sie auf ihren modernen Reifen auch. Doch eines bleibt, wie es war: So selbstverständlich und vollkommen angstfrei wie hier spielst du selten mit so vielen PS. Auch heute noch.

Text Wolfgang König
Fotografie Christoph Bauer