Porsche - Besser geht immer

Besser geht immer

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Alexander Hitzinger verantwortet den Porsche 919 Hybrid als Technischer Direktor.

Er wird besser. Ständig. Unablässig definieren Ingenieure die Aerodynamik des Porsche 919 Hybrid neu. Die Grenze des Machbaren wird ständig verschoben. Alles ist übersetzbar in Rundenzeiten. Aber vor allem dienten die Ergebnisse der Strömungsoptimierung zukünftiger Straßenfahrzeuge – für geringeren Verbrauch und noch bessere Performance.

Das Loch am vorderen Radkasten ist in Silverstone unscheinbar glatt gekantet. In Le Mans ist es Richtung Reifen eingezogen. Auf dem Nürburgring hat es noch eine Lippe. Solche Detailveränderungen sind Ergebnisse der Aerodynamik-Abteilung. Die Arbeit der Ingenieure ist nie ziellos, aber endlos. Besser geht immer. Für den Laien sehen die weißen 919 alle gleich aus. Tatsächlich aber erhielt der 919 nach Le Mans eine zu 80 Prozent neue Karosserie. Warum? Weil der kurvige Nürburgring und die folgenden Rennstrecken in der zweiten Saisonhälfte ganz andere Anforderungen stellten als der Circuit de la Sarthe mit seinen ellenlangen Geraden, auf dem Porsche am 14. Juni 2015 den 17. Gesamtsieg für das Unternehmen holte.

Mehr als 20 Aerodynamiker arbeiten beim Le-Mans-Prototyp 919 Hybrid an den zwei Seiten derselben Medaille: die eine heißt Abtrieb, die andere heißt Luftwiderstand. Was erzeugt Abtrieb? „Zum Beispiel“, sagt Alexander Hitzinger, der Technische Direktor im Le-Mans-Prototypen-Programm (LMP1), „ein steil angestelltes Front- oder Heckflügelprofil.“ Wenn die Luft unter dem Flügelprofil schneller strömt als die darüber, entsteht unter dem Profil ein geringerer Druck. Diese Druckdifferenz bildet die Kraft, die Abtrieb heißt und das Fahrzeug auf die Straße presst. Allerdings muss der Gewinn von Abtrieb in der Regel mit größeren Angriffsflächen für den Luftstrom bezahlt werden. Und ein höherer Luftwiderstand geht zulasten der Höchstgeschwindigkeit.

Dabei sind Flügelprofile nur Bausteine im komplexen Ganzen. Jeder Quadratmillimeter an der Kohlefaserhaut des Prototyps, jeder Lufteinlass und -austritt, jede noch so feine Kante gehorcht dem Diktat aerodynamischer Effizienz. „Die meisten für die Aerodynamik wichtigen Details sieht man gar nicht, weil sie sich unter dem Fahrzeug befinden oder innenliegend sind“, stellt Hitzinger klar. „Die Umströmung des gesamten Fahrzeugs und die Durchströmung der Karosserie stehen in komplizierten Wechselwirkungen zueinander und sind einer großen Bandbreite von Fahrsituaausgesetzt.“ Exemplarisch zählt der Technikchef auf: „Geradeausfahrten, Kurvenfahrten, Bremsphasen, Seitenwindeinflüsse, Windschatten oder auch tückische Verwirbelungen durch dichte Hinterherfahrten.“

Aufgrund der widersprüchlichen Anforderungen durch die Fahrsituationen in ein und demselben Rennen ist es unmöglich, jedes Detail für alle Fälle zu optimieren. Aber unterschiedliche Rennstreckenprofile legen abweichende Prioritäten nahe. So kommt es, dass sich der 919 Hybrid permanent verändert. Auch während der Saison 2015 hat er eine kaum zu beziffernde Menge kleinerer und größerer aerodynamischer Veränderungen erfahren. Die wichtigsten Schritte sind dabei der Eigenwilligkeit des Circuit de la Sarthe in Le Mans geschuldet. Hitzinger: „Die Rennstrecke mit ihren extrem langen Geraden verlangt derart geringen Luftwiderstand, dass es lohnend ist, den Abtrieb auf das Nötigste zu begrenzen. Bei den WM-Läufen vor und nach Le Mans fahren wir hingegen Konfigurationen mit mehr Abtrieb.“

Begonnen wurde mit dem Aero-Kit Nummer 1, mit dem der 919 im Dezember 2014 seinen ersten Funktionstest in Weissach fuhr. Für den Saisonauftakt im April 2015 in Silverstone erhielt er bereits Kit 2. Kit 3 war anschließend in Spa im Einsatz und bereits ein Vorläufer von Kit 4 – dem Low-Downforce-Package, einem Aero-Paket mit geringem Abtrieb für Le Mans, den Saisonhöhepunkt. Für das Rennen auf dem Nürburgring Ende August wurde das Aero-Kit Nummer 5 fertiggestellt – das High-Downforce-Package war eine zu 80 Prozent neue Außenhaut des Rennwagens.

Abgasaustritt

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Während das 2014er-Auto über einen Abgasaustritt weit oben verfügte, zeigt die aktuelle Version zwei tiefer liegende Endrohre. Durch diese Veränderung wird die Abschlusskante der Motorabdeckung besser angeströmt, wodurch zusätzlicher Abtrieb generiert wird.

Finne

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Das Fahrzeugteil ist vom Reglement vorgeschrieben und dient der Stabilität und somit der Sicherheit: Wenn sich das Auto eindreht, wirkt plötzlich ein Luftstrom auf diese Fläche, dessen Kraft dabei hilft, dass sich das Auto wieder geradestellt.

Stirnfläche

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Zugunsten geringen Luftwiderstands versucht man, die Stirnfläche zu minimieren. Das Reglement gibt Schablonen vor, um deren Maße herum die Karosserie gestaltet werden muss. Je enger man sich an die vorgeschriebenen Mindestße in Höhe und Breite hält, desto geringer wird die Stirnäche. Um die Maße einzuhalten und dennoch Fläche zu minimieren, erhielt der 919 eine an ein Einhorn erinnernde Stufe oberhalb der Cockpit-Kanzel – ein aufwendiger Fertigungsprozess zugunsten der Reduzierung von Luftwiderstand.

Radhäuser

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Dass die Radhäuser oben offen sind, ist Pflicht und dient der Sicherheit. So kann Luft, die etwa bei einem Dreher unkontrolliert in das Radhaus einströmt, wieder entweichen, was wiederum das Risiko des Abhebens reduziert. Im normalen Fahrbetrieb kann Luft ausströmen, einströmen oder darüber hinwegströmen. Was sie tatsächlich tut, lässt sich durch die Karosserieausformung vor den Öffnungen beeinflussen: Die Luft trifft vorne auf das Fahrzeug und beschleunigt über die Scheinwerfer zum Radhaus. Je nachdem, in welchem Winkel Luft auf die Öffnung trifft, zieht der Strom sie entweder aus dem Radhaus heraus oder drückt sie hinein. Die dritte Möglichkeit ist: Der Luftstrom wirkt wie ein Vorhang und verschließt die Öffnung. Abhängig vom Verhalten des Luftstroms an der Radhausöffnung, nimmt mehr oder weniger Luft ihren Weg durch das Fahrzeug und generiert Abtrieb. Sie kann auch seitlich hinter der Startnummer austreten oder ihren Weg am Unterboden entlang zum Heckdiffusor finden. Je mehr Luft am Radhaus austritt, desto mehr strömt insgesamt um den Frontflügel und sorgt somit für Abtrieb. Um diesen für das Rennen in Le Mans zu reduzieren, wurden die Paneele vor den Radhäusern nach unten gezogen und der Luftaustritt praktisch verhindert.

Flick

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Feinarbeit im Eck: Das kleine Anbauteil generiert weniger Abtrieb als die deutlich größeren, die beim Saisonstart zum Einsatz kamen.

Seitliche Luftaustritte

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Die seitlichen Luftaustritte leisten einen Beitrag dazu, den Luftstrom zu regeln, der vorne ins Auto eintritt, teilweise aus den Radhäusern austritt oder aber seinen Weg durch den Unterboden zum Heckdiffusor findet. Je weniger Blockade der Luftstrom dabei erfährt, je mehr Luft also durch den Wagen strömt, desto mehr Abtrieb lässt sich durch den Frontflügel generieren. Ein Teil der aerodynamischen Gesamtkomposition des 2015er-Autos ist die geänderte Auslegung der Luftaustritte.

Zusatzelement

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Das pfiffige Zusatzelement am Heck sorgt für mehr Abtrieb im hinteren Bereich. Das Heck ist bei der Fahndung nach Abtrieb kein einfaches Terrain, weil das LMP1-Reglement die zentralen Maße für den Heckflügel und den Diffusor vorgibt. Am Vorderwagen herrschen größere Freiheiten für zusätzlichen Abtrieb. Weil das Auto aber aerodynamisch in der Balance bleiben muss, kann man sich nur dann mehr Abtrieb an der Front leisten, wenn man ihn am Heck bereits darstellen kann.

Auf welcher Rennstrecke das Pendel mehr Richtung Abtrieb oder eher zur Reduzierung des Luftwiderstands ausschlägt, ermitteln die Ingenieure in verschiedenen Stufen. Die groben Vorgaben liefert das Streckenprofil: Streckenführung, Topografie, Asphaltbeschaffenheit, zu erwartende Temperaturen. Seit 2015 verfügt das Team auf allen WEC-Rennstrecken zudem über selbst erfasste Daten aus dem Fahrbetrieb mit dem 919. Ehe überhaupt Karosserieelemente entworfen und als Modell gebaut werden, erlauben CFD-Systeme (Computational Fluid Dynamics) die Simulation von Wirkung und Zusammenspiel gerechneter Teile. Im nächsten Schritt ist der Modellbau gefragt – die Porsche-Ingenieure testen mit einem 60-Prozent-Modell im Windkanal des Williams-Formel-1-Teams im englischen Grove. „Erst danach“, fährt Hitzinger fort, „werden Komponenten in Originalgröße produziert und getestet. Ohne dieses sogenannte Rapid Prototyping wäre die Teileproduktion auch viel zu teuer und außerdem zu zeitintensiv.“

Ein großes Plus für die Weissacher Rennabteilung: Der 2015er Rennwagen profitierte bereits massiv von dem neuen Windkanal des Porsche-Entwicklungszentrums, in dem das Auto in seiner vollen Größe erprobt werden kann. „Dort“, sagt Hitzinger, „haben wir ab Dezember 2014 durch die Abgleichung von CFD- und Modellkanal-Ergebnissen sowie Detailarbeit mit kleinen Anbauteilen eine beträchtMenge an Verbesserungen erarbeitet.“ Damit rückten Serien- und Rennsport-Entwicklung auch in der Disziplin Aerodynamik noch enger zusammen. Es ist gemeinsame Arbeit, die permanent frischen Wind produziert.

Als der Prototyp im Juni 2015 in Le Mans gewann, waren die Entwickler bereits mit seinem Nachfolger beschäftigt. Viel ist über die dritte Generation des Porsche 919 Hybrid noch nicht zu erfahren. Das Grundkonzept mit dem einzigartigen Antrieb aus dem zukunftsweisenden Downsizing-Zweiliter-Vierzylinder-Turbo-Benziner und zwei innovativen Energierückgewinnungssystemen soll aber beibehalten werden. „Grundsätzlich.“ Hitzinger versucht, unschuldig zu gucken. Schon klar. Im Detail bleibt auch hier kein Stein auf dem anderen. Besser geht immer.

Text Heike Hientzsch