Porsche - Kunst der Reduktion

Kunst der Reduktion

[+]

Dialog: Jugendlicher Vorwärtsdrang, aus der Perspektive des 911 R von 1967.

Kann das funktionieren: mit der gleichen Inspiration und den gleichen Idealen wie vor einem halben Jahrhundert heute noch einmal ein Auto zu bauen? Porsche hat es gemacht. Das Ergebnis ist der neue 911 R. Ein Sportwagen ohne Schnörkel.

Der Porsche 911 R ist kompromisslos in den Kategorien Leichtbau, Leistung, Leidenschaft. Komponiert aus einem Vierliter-Boxer-Saugmotor, einem Handschaltgetriebe (mit sechs Gängen) und der puren Lust am Fahren. Bereits 1967 entstand nach dieser Rezeptur ein Porsche 911 R. Er wurde zum Urtyp aller späteren RS- und RSR-Modelle. Ein geradezu asketisches Auto, einzig dem maximalen Fahrerlebnis verpflichtet. Und genau darin übertrifft ihn der neue 911 R sogar noch.

Erstmals trafen die beiden Asketen jetzt aufeinander. Knapp ein halbes Jahrhundert Porsche-Geschichte, konzentriert in zwei Sportwagen, geprägt von ein und derselben Idee.

„Mein Wagen ist wie eine Ballerina“, sagt Johan-Frank Dirickx, belgischer Porsche-Sammler und Besitzer eines Porsche 911 R aus dem Jahr 1967, einem von lediglich 20 gebauten Exemplaren. „Der R ist ganz leicht, sehr stark, unglaublich schnell, und er fährt sich wunderbar“, berichtet Dirickx. „Du lenkst in die Kurve ein, spürst, wie das Heck ausbricht, und übernimmst den Impuls mit dem Gaspedal. Es ist Driften in Vollendung. Das Auto ist genial ausbalanciert.“

So spricht Dirickx über den Sportwagen, den er 2007 in den USA kaufte und in dem die 210 PS des Zweiliter-Sechszylinder-Boxermotors es mit kaum mehr als 800 Kilogramm Fahrzeuggewicht zu tun haben.

[+]

Zeitsprung: R hoch zwei beim Paarlauf in den Alpen.

Beim neuen 911 R ist das Verhältnis von Gewicht zu Leistung noch entschiedener: Der Vierliter-Sechs­Zylinder-Boxermotor – genauer: das aus dem 911 GT3 RS bekannte Aggregat – entwickelt 500 PS, das Gewicht des 911 R liegt bei 1370 Kilogramm, und zwar vollgetankt und fahrbereit. Leichter ist kein anderes Modell der aktuellen Elfer-Baureihe. „Schon beim Verlassen des Parkplatzes spürt man die Leichtigkeit und Agilität des Autos. Schon beim Anlassen hört man seine Kraft“, beschreibt Andreas Preuninger die ungefilterte Präsenz, die der neue 911 R ausstrahlt. Preuninger arbeitet im Porsche-Entwicklungszentrum in Weissach, wo er die Abteilung Motorsport/GT-Straßenfahrzeuge leitet. Über den jüngsten Spross seines Teams sagt er: „Der 911 R ist ein Auto für die Sinne, er steht fürs Fahren in seiner reinsten Form und lässt den Fahrer ganz nah ran. Allererste Wahl für Fans des Urelfers also.“

[+]

Leichte Übung: Seine Kurven-Kompetenz gewinnt der neue 911 R aus der Kombination von 500 PS und einem Idealgewicht von nur 1370 Kilogramm – vollgetankt.

Die Technik ist so präsent wie in einem Rennwagen: Man hört das Einlegen der Gänge, spürt das Zupacken der Kupplung, und in immer neuen Kaskaden brandet die Akustik des Saugmotors durchs Cockpit. Dämmmaterial und sogenannte Schwerfolien, die sonst den Innenraum zur Ruhezone machen, gibt es nicht im 911 R – aus Gewichtsgründen. Karosserieteile aus Carbon und Magnesium, eine Auspuffanlage aus Titan, Heck- und Fondseitenscheiben aus Kunststoff und der Verzicht auf eine Klima- und Musikanlage sind weitere Beispiele für konsequenten Leichtbau. „Der Wagen ist sozusagen unsere Motorsport-Interpretation von einem connected car“, sagt Preuninger. Es gehe in diesem Fall allein um die kürzeste Verbindung zwischen Fahrer und Auto, um unmittelbares Empfinden, um fühlbaren Purismus. Dirickx kennt das aus dem alten 911 R. „Zweimal im Jahr“, berichtet er, „miete ich eine private Rennstrecke, um mit dem Auto Spaß zu haben. Das Fahrgefühl ist unvergleichlich.“

Er dürfte den aufreizend unauffälligen Wagen auch auf öffentlichen Straßen bewegen, doch richtig Freude hat er daran nicht mehr. Der Wert seines Autos wird von Experten auf rund 3,5 Millionen Euro taxiert; es ist bis auf wenige Kleinigkeiten noch im Originalzustand, hat erst rund 40 000 Kilometer auf dem Zähler und dennoch eine Geschichte, die es einmal um die ganze Welt führte. Dirickx’ 911 R war jener, der bei der Pressevorstellung im Dezember 1967 von Vic Elford auf dem Hockenheimring präsentiert wurde. Porsche verkaufte den Wagen an einen italienischen Arzt in Äthiopien, der ihn 25 Jahre lang fuhr, anschließend stand er zwei Jahrzehnte in der Kollektion eines japanischen Porsche-Sammlers, ehe er über einen Abstecher in Kalifornien in den Besitz von Dirickx kam. Er kaufte das Auto für weniger als ein Siebtel des heutigen Werts. „Einerseits freut mich der Wertzuwachs, andererseits stört er die Unbefangenheit“, sagt Dirickx. „Wie soll man ein derart kostbares Auto überhaupt noch fahren? Immer sitzt ein imaginärer Aufpasser auf der Schulter, und der flüstert dir unablässig, sei vorsichtig!" oder ,Nicht so schnell!‘ ins Ohr.“ Beim Gipfeltreffen mit dem neuen Porsche 911 R auf den Serpentinen des Sustenpasses in der Schweiz jedoch durfte Dirickx’ Ballerina mal wieder auf freier Fahrbahn tanzen. Die Dreitausender ringsum warfen den bellenden Boxer-Sound zurück, als der alte und der neue 911 R im Duett durch die Haarnadelkurven fädelten. „Kurvige Gebirgsstraßen sind ein perfektes Terrain für das Auto“, sagt Porsche-Mann Preuninger. Nicht zuletzt deshalb, weil das Fahrwerk-Setup auf vielen Tausend Testkilometern in den Pyrenäen und im süditalienischen Apulien abgestimmt wurde.

[+]

Gemeinsamer Genpool: Zwei Mal 911 R – so imposant wie die Kulisse.

Und die Rundenzeit auf der Nürburgring-Nordschleife? „Wir haben sie nicht gestoppt, denn für Rundstrecken haben wir das Auto nicht gebaut“, sagt Preuninger. Inzwischen gebe es nämlich etliche Hightech-Systeme, die ein Auto auf der Rennstrecke schneller, es zugleich aber auch schwerer machen. Für den 911 R kamen solche Komponenten, also beispielsweise ein blitzschnell schaltendes Doppelkupplungsgetriebe (PDK), nicht infrage. Puristen werden jubeln, denn was sind schon ein paar Zehntelsekunden im Vergleich zum eigenhändigen Schaltvergnügen. Dafür erhielt das Auto eine komplett neu abgestimmte Sechsgang-Handschaltung. Auf Wunsch – und Preuninger empfiehlt es dringend – stattet Porsche den 911 R zudem anstelle des konventionellen Zweimassenschwungrads mit einem Einmassenschwungrad auf der Kurbelwelle aus. Das macht den Charakter des Antriebsstrangs noch einen Tick ungestümer und spart weitere fünf Kilogramm. Vom fahrerischen Lustgewinn durch die manuelle Schaltung abgesehen, minimiert das neue Getriebe zugleich auch die Antriebsverluste. Anders gesagt: Es kommt mehr Power an der Hinterachse an. Übersetzt in Autoquartett-Sprache bedeutete das für den Porsche 911 R „Spitze: 323 km/h“. Preuninger bemerkt dazu, die offizielle Angabe sei „ein sehr konservativer Wert“. Der hohe Top-Speed war eine enorme Herausforderung für die Aerodynamiker, zumal der neue 911 R wie sein Vorbild von 1967 souverän zurückhaltend auftreten sollte, also unbedingt ohne einen breiten, fest stehenden Heckflügel. Das Auto verfügt lediglich über den Carrera-typischen ausfahrbaren Heckspoiler und über einen akribisch optimierten Unterboden. Letzterer wurde in etlichen Stunden Feinarbeit im Windkanal so gestaltet, dass er in jeder Situation ausreichend Bodenhaftung sicherstellt, um das Auto präzise auf Kurs zu halten.

Dirickx hat sich bereits eines der insgesamt 991 Exemplare bestellt, die vom neuen 911 R in Zuffenhausen gebaut werden. Weil er genau diese Art von Sportwagen liebt, die sich so spritzig, leichtfüßig und souverän bewegen lassen, wie er das von seinem klassischen 911 R kennt. Und weil er das dezente Design des Fahrzeugs mag – auch darin bleibt der Neue dem Vorbild von 1967 treu. Er bildet damit nicht nur technisch, sondern auch optisch die Essenz der 911-Baureihe: mit dem klassisch-sehnigen Karosseriekörper, den 20-Zoll-Leichtbaurädern mit Zentralverschluss und – auf Wunsch – dunkelroten oder signalgrünen Doppelstreifen, wie sie auch die alten Typen vor einem halben Jahrhundert gerne mal trugen.

Der Neue wirkt beinahe so, als sei der erste 911 R in all den Jahren zur Perfektion gereift. An diesem Auto kann man nichts mehr weglassen – genau das macht es vollkommen.

Text Sven Freese
Fotos Stefan Bogner