Rajendra Kumar Jain
Mein Zuhause ist dort, wo die Garage steht. 7192 Kilometer liegen zwischen Wohnung und Garage. Rajendra Kumar Jain lebt und arbeitet in London. Sein
Mumbai: vibrierende Lebendigkeit, pulsierendes Kraftzentrum, der Nukleus einer Welt, in der die Möglichkeiten nicht mehr von der Geografie bestimmt werden. Träume, Sehnsüchte, Ambitionen und Hoffnungen von Millionen Menschen streben aufwärts wie Hochhäuser. Wie alle Metropolen schläft auch Mumbai nicht, legt aber hin und wieder einen überraschenden Moment der Ruhe ein. Manchmal sind es nur Sekunden.
Dies ist einer dieser Augenblicke: Finger zeigen. Augen weiten, Blicke öffnen, Köpfe wenden sich. Passanten bleiben stehen. Handykameras werden gezückt. Eine fließende Form mit jenem unverwechselbaren Motorengeräusch, das vom Heck ausgeht, kommt näher. Tief liegende Karosserie und kompakte Abmessungen. Auf den Straßen der Zwölf-Millionen-Stadt wirkt der Wagen wie ein Exot.
Alle, wirklich alle, die den weißen
Im hektischen Beat dieser Stadt gibt es kaum noch stilles Staunen, nichts, das die Menschen noch nicht gesehen oder gehört haben. Dieser Moment ist die Ausnahme, dieses Auto ein Solitär, der wohl einzig noch existierende 356 SC in Indien. Der Subkontinent verfügt über eine unglaubliche Fülle an klassischen Fahrzeugen. In Privatsammlungen finden sich Karossen, die nach Vorgaben märchenhaft reicher Maharadschas gebaut wurden. Aber dieses Modell von 1965 mit Boxermotor ist nicht von königlicher indischer Herkunft; es hat ihn stattdessen hierher verschlagen, denn sein aktueller Besitzer, Rajendra Kumar Jain, genannt Raj, verirrte sich.
Ein beweglicher Kunstgegenstand
Raj lebt und arbeitet eigentlich in London. Getreu der indischen Vorliebe für Abkürzungen ist er ein OCI-Passinhaber. OCI steht für Overseas Citizenship of India. Es ist die offizielle Bezeichnung für die indische Überseestaatsbürgerschaft, für indische Bürger, die jenseits der Landesgrenzen leben. Raj ist indischer Abstammung, hat jedoch einen britischen Pass und reist geschäftlich durch die ganze Welt.
Er handelt mit Kunst, Antiquitäten, Sammleruhren und wertvollen Kuriositäten und hat sein Geschäft in der Bond Street im vornehmen Londoner Stadtteil Mayfair. Die schönen und seltenen Objekte der Welt sind ihm vertraut. Ein klassischer
Raj hat den 356 nicht gesucht. Das Auto fand ihn. „Es war Karma“, sagt er mit ausgeprägtem britischen Akzent, „ausgleichende Gerechtigkeit.“ Irgendwann in den frühen 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts stöberte Raj durch die Hallen von Christie’s, des berühmten Auktionshauses. Er landete im falschen Auktionssaal, „und da sah ich dieses schöne, makellose Auto“. Der Wagen wurde frei versteigert, also ohne Mindestgebot. „Instinktiv hob ich meine Hand.“ Es gab weitere Bieter, aber keinen mit echtem Biss. Raj bekam den Zuschlag schnell, für weniger als 1000 Pfund. Ein Schnäppchen, schon damals.
Statt ihn in der Nähe seiner Londoner Wohnung in South Kensington zu parken, verschiffte er das Auto nach Mumbai. Zweimal pro Jahr reist er aus geschäftlichen und familiären Gründen in seine Heimat Indien – der
Um den
„Barry überholte den Motor, baute jedes Teil, jede Schraube und Mutter aus und wieder neu ein“, sagt Raj. „Ich habe extra eine Klimaanlage in der Garage installieren lassen, damit er auch arbeiten konnte, wenn es draußen extrem heiß war.“ Dann, vor knapp zwei Jahren, starb Barry. Der
Mit einem Lächeln auf den Lippen taucht Raj wieder ein in das organisierte Chaos von Mumbai. Für alle, die neu sind in diesem Schmelztiegel der Religionen, Sprachen und Kulturen, scheint die Stadt bizarr und konfus, doch ihr Zauber entfaltet sich sofort, erlebt man doch die Menschen und ihr Talent, scheinbar alles möglich zu machen.
Genussvoll steuert Raj die 95 PS des Wagens im Slalom über die Fahrspuren und zieht immer wieder Blicke auf sich. Verlässt die lauten Hauptstraßen, wechselt in grüne Alleen, zieht vorbei an kleinen verschnörkelten Teehäusern. Erst als es dämmert, verschwindet die Auffälligkeit des
Text Srinivas Krishnan
Fotos Bengt Stiller
Modell: 356 (1600)
SC Baujahr: 1965
Gewicht: 935 kg
Farbe: weiß
Leistung: 95 PS (70 kW)