Bergprüfung

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Gewichtige Zeitdokumente: An die zehn Kilo wiegen die vielen schönen fotografischen Erinnerungen an Vater Edgar. Jürgen Barth schlägt den braunen Ledereinband gerne auf, um durch die Vergangenheit zu blättern.

Eine Straße verbindet üblicherweise zwei Orte. Sie kann aber auch zwei Leben verknüpfen – wie die Biografien der Rennfahrer-Legenden Edgar und Jürgen Barth. Edgar Barth siegte 1957 beim Schauinsland-Bergrennen auf einem Porsche 718 RSK. Im neuen 718 Boxster S folgt Sohn Jürgen Barth den Spuren seines Vaters.

„Trainiert wurde vor allem nachts“, sagt Jürgen Barth. „Da konnte man einigermaßen gefahrlos die Ideallinie ausloten, denn entgegenkommende Autos waren durch die Lichtkegel der Scheinwerfer rechtzeitig zu erkennen.“ Barth, damals neun, inzwischen 68 Jahre alt, kann sich noch gut daran erinnern, denn er durfte auf dem Beifahrersitz mitkommen, wenn sich sein Vater Edgar den schnellsten Strich durch die 173 Kurven auf der zwölf Kilometer langen Bergstrecke südöstlich von Freiburg einprägte. „Das waren natürlich Sternstunden für einen Jungen“, erinnert sich Barth, der in den Motorsport hineinwuchs und später selbst zu einem der ganz Großen in der Branche wurde.

Jürgen Barth sitzt am Tisch im Hotel „Die Halde“ auf dem Gipfelplateau des Schauinsland und hat einen riesigen, in rehbraunes Leder gebundenen Folianten vor sich. Gut zehn Kilogramm wiegt das Album, das gerade so in den Kofferraum des Porsche 718 Boxster S gepasst hat, mit dem Barth im Spätnachmittagslicht über die alte Bergrennstrecke hinaufgewedelt ist. Ein Gasthaus existiert an dieser Stelle bereits seit dem 14. Jahrhundert. Seit sechzig Jahren logieren hier auch immer wieder Porsche-Fahrer. In den 1950er- und 1960er-Jahren gehörten Versuchsingenieure und Rennfahrer aus Zuffenhausen zu den Stammgästen der „Halde“. „Auch ich war mit meinem Vater häufig hier“, sagt Jürgen Barth. „Die Schauinsland-Strecke hinauf trainierten die Rennfahrer, auf der steilen Abfahrt hinunter nach Todtnau wurden dann die Bremsen getestet.“ Ein ideales Gelände, um Material zu martern. Der Abhang, auf dem die Straße und einige Skipisten ins Tal des Flusses Wiese abfallen, heißt – man könnte es sich nicht treffender ausdenken – Notschrei.

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Fotoalbum der Familie Barth

Erinnerungen in der Schatztruhe

Barth klappt nun den schweren Einband zur Seite wie den Deckel einer Schatztruhe. In diesem Bilderbuch stecken Erinnerungen, Geschichten, eigentlich das ganze Rennfahrerleben seines Vaters Edgar. Der fuhr ab 1934 zunächst Motorradrennen, zählte nach dem Krieg zu den Pionieren des DDR-Motorsports, startete 1957 auf dem Nürburgring erstmals für Porsche, wurde daraufhin von den DDR-Behörden lebenslang gesperrt und setzte seine Karriere in der Bundesrepublik und bei Porsche fort. Ein schlanker, gut aussehender Mann mit glatt nach hinten gekämmten Haaren, die auf den Fotos allerdings meist von einem Rennhelm verdeckt sind.

Auf einigen der Schwarz-Weiß-Fotografien ist ein kleiner Junge zu sehen, einmal keck mit Schirmmütze. „Das bin ich“, sagt Jürgen Barth. Er blättert, hält inne, lächelt und verbindet mit Fingerzeigen die wichtigsten Stationen der Karriere seines Vaters: als Sieger beim Rennen 1953 auf der Autobahnspinne Dresden, als Gewinner der Targa Florio 1959 und immer wieder auch beim Schauinsland-Rennen, bei dem Barth senior gleich vier Mal triumphierte. Zudem gewann er drei Mal, in den Jahren 1959, 1963 und 1964, die Berg-Europameisterschaft. Sein Auto damals: ein Porsche 718 – anfangs Varianten mit Vierzylinder-Boxermotor, später mit Achtzylinder-Boxeraggregat.

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Vertrauter Sound: „Manche Motorengeräusche des neuen 718 Boxster S erinnern an den alten Rennsportwagen“, sagt Jürgen Barth auf dem Weg zum Gipfel.

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Leidenschaft: Keine Zeit für einen Zwischenstopp bei der Holzschlägermatte (unten), zu sehr locken die Kurven den 718 Boxster S – und Rennfahrer Barth.

„Manche Motorengeräusche des neuen 718 Boxster S erinnern an den alten Rennsportwagen“, sagt Jürgen Barth heute. „Das dunkle, dumpfe Grollen beim Beschleunigen zum Beispiel.“ Vor ein paar Stunden, als er die Schauinsland-Strecke unter die Räder nahm, hing dieser vertraute Sound immer wieder im Bergwald. Die Leistungsentfaltung des neuen Vierzylinder-Boxers nennt Jürgen Barth „traumhaft“, das Fahrwerk „ausgewogen“, die Bremsen „hervorragend“.

„Du weißt, dass da ein Turbomotor hinter deinem Rücken Druck macht, aber es fühlt sich an wie bei einem Sauger.“ Der Klassiker unter den Bergrennstrecken hinauf auf den 1284 Meter hohen Aussichtsberg sei die ideale Straße, um das Auto als Sportwagen kennenzulernen. „Der 718 Boxster S ist wunderbar kompakt und leicht. Mich erinnert er an die früheren 911.“

Sohn des Bergkönigs

Den Porsche 911 kennt Jürgen Barth ebenfalls aus dem Effeff. 1969 trat er mit einem 911 T zum ersten Mal beim Schauinsland-Rennen an. Das Auto war ein ehemaliger Rallyerenner und Barth hatte ihn von den 2000 D-Mark Startgeld gekauft, die er erhalten hatte. Der Veranstalter wollte ihn und Hans-Joachim Stuck unbedingt dabei haben, die Youngster wurden damals als „Söhne der ehemaligen Bergkönige Barth und Stuck“ angekündigt. Stuck auf einem BMW Alpina 2002 ti wurde im Rennen allerdings ein Ölfleck zum Verhängnis; Barth ließ sein fahrerisches Talent aufblitzen und wurde beim Debüt prompt Sechster in seiner Klasse. „Bergrennen mochte ich sehr“, sagt er. „Man musste jede Kurve bis ins Detail kennen, denn es gab ja keinen Beifahrer wie bei einer Rallye. Und man hatte nur eine Chance, anders als bei Rundstreckenrennen, bei denen Konstanz und Strategie viel wichtiger sind.“

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Porsche 718 Boxster S

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Nürburgring: Rudolf Caracciola war 1927 der erste Gewinner in der Eifel, der einen Ring in Form der Rennstrecke erhielt, Jürgen Barth und Rolf Stommelen 1980 die letzten. Die schönen Erinnerungen fahren nun mit, am rechten Ringfinger.

„Schnell zu fahren hatte ich vielleicht im Blut. Richtig gelernt habe ich es dann bei vielen Gelegenheiten als Fahrer des Servicefahrzeugs, etwa bei der Safari-Rallye in Kenia für Björn Waldegård“, erzählt Barth. Weil er zudem die Technik der Autos bis ins Detail kannte, konnte er wie kaum ein anderer sehr schnell und zugleich sehr behutsam fahren. Eine Fähigkeit, die ihn zu einem der versiertesten Langstreckenpiloten seiner Zeit machte. Barth sagt heute: „Die Kunst des Rennfahrens besteht nicht darin, einmal pro Rennen hundert Prozent zu fahren und die schnellste Runde hinzulegen, sondern während des ganzen Rennens möglichst neunzig Prozent. Wenn das gelingt, dann bist du wirklich schnell.“

Mechaniker im Rennwagen

Bevor er Rennfahrer wurde, lernte Jürgen Barth etwas Solides. Sein Vater, der 1965 verstarb, wollte es so, und der Sohn folgte. Zunächst absolvierte er eine Lehre als Kfz-Mechaniker bei Porsche, dann komplettierte er seine Ausbildung beim Sportwagenbauer mit einer zweiten Lehre zum Industriekaufmann. Diese Dualität prägte sein gesamtes Berufsleben: Barth ist bis heute Rennfahrer. Parallel dazu war er immer auch Mechaniker, Öffentlichkeitsarbeiter und begnadeter Organisator, was er in der Rennabteilung von Porsche jahrelang unter Beweis stellte.

Am 12. Juni 1977 steuerte Jürgen Barth einen rauchenden Porsche 936 über die Ziellinie in Le Mans und machte damit den Triumph perfekt. Gemeinsam mit Jacky Ickx und Hurley Haywood hatte er den Gesamtsieg beim 24-Stunden-Rennen errungen. Auf letzter Rille sozusagen, denn in den beiden Schlussrunden lief der Motor des Porsche nur noch mit fünf anstatt mit allen sechs Zylindern. Barth als maximal materialschonendem Fahrer blieb es vorbehalten, den riesigen Vorsprung des Teams reglementkonform ins Ziel zu bringen. Ein paar Tage nach seinem größten Motorsporterfolg saß er schon wieder mit einer Werkzeugkiste im Gepäck in einem Flugzeug nach Australien. Seine Aufgabe diesmal: den polnischen Rennfahrer Sobiesław Zasada technisch zu unterstützen, der bei der Rallye London–Sydney mit seinem Porsche 911 auf aussichtsreicher Position lag, am Ende jedoch 13. wurde.

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Streckenabschitt des Schauinsland-Bergrennens

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Richtung Elsass: Ein Auto zum Attackieren und Promenieren zugleich, findet Jürgen Barth. Er genießt jede Kurve des Schauinsland und freut sich auf das anschließende Essen im benachbarten Elsass.

Ring der Nordschleife

Wenn man mit Jürgen Barth am Tisch sitzt und über alte Zeiten und den neuen 718 Boxster S spricht, fällt der Blick unwillkürlich auf den Ringfinger seiner rechten Hand. Dort steckt ein goldener Ring, dessen Form man irgendwo schon einmal gesehen hat. „Das ist ein Nürburgring-Ring“, erklärt Barth. Ja klar, das imposante Schmuckstück zeigt die Nordschleife – die Rennstrecke, auf der Barth gemeinsam mit Rolf Stommelen 1980 das 1000-Kilometer-Rennen auf einem Porsche 908 gewann. Alle Sieger der großen Rennen auf dem Eifelkurs erhielten einen „Nürburgring“; die Tradition begann 1927 mit Rudolf Caracciola und endete 1980 mit Barth und Stommelen. Ja, sagt der Mann mit dem goldenen Ring heute, es fühle sich durchaus so an, als ob er etwas vollendet habe. Als ob sich die Motorsportkarriere seines Vaters und seine eigene ergänzen und zu einem Gesamtbild zusammenfügen würden. „Er hat nie in Le Mans und am Nürburgring gewonnen, ich nie bei der Targa Florio und am Schauinsland.“ Jürgen Barth sitzt wieder im 718 Boxster S, das Verdeck ist geöffnet, der Roadster im Farbton Lavaorange fährt talwärts durch die Kurve an der Holzschlägermatte. Früher drängten sich allein an dieser weiten Kurve des Schauinsland-Bergrennens mehr als zehntausend Zuschauer auf der Holztribüne und den Wiesen am Hang, um die Rennfahrer zu bejubeln. Heute schweift der Blick von hier weit hinaus Richtung Norden ins Rheintal und bis ins Elsass.

Promenieren am Schauinsland

Dorthin soll es jetzt gehen. „Der 718 Boxster S ist nämlich nicht nur ein Auto zum Attackieren, sondern auch zum Promenieren“, sagt Barth. Das ist nun, nach den Erinnerungen an die schnellen Tage am Schauinsland und auf vielen anderen Pisten, vorgesehen. Entspanntes Bummeln über freundliche Sträßchen jenseits des Rheins, wo Frankreich lockt und eine ganz spezielle Lebensart, die Jürgen Barth gut gefällt. Was noch nicht viele wissen, aber jetzt ruhig schon einmal verraten werden darf:

Er sammelt gerade Material für ein Rennfahrer-Kochbuch, da bietet sich eine Recherche-Schleife durchs Elsass natürlich an. Barth drückt aufs Gas und der 718 Boxster S stiebt mit sonorem Bollern davon. So klingt es, wenn ein Rennfahrer entspannt promeniert.

Text Sven Freese
Fotos Steffen Jahn

Das Schauinsland-Bergrennen

Im Mittelalter wurde dort nach Silber und Blei geschürft, später wurde Holz geschlagen. Um das Holz leichter ins Tal transportieren zu können, ließ die Stadt Freiburg eine Fahrstraße auf ihrem Hausberg bauen, 1896 wurde sie fertiggestellt. Gut zwei Jahrzehnte später rückte der Fuhrweg in den Blick einiger Freiburger Motorsportenthusiasten. Resultat: Am 16. August 1925 wurde der erste „ADAC Berg-Rekord“ auf den Schauinsland gestartet, 126 Krafträder und 72 Kraftwagen nahmen teil, der Sieger bewältigte die knapp zwölf Kilometer, 173 Kurven und maximal zwölf Prozent Steigung der Strecke mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 62,3 km/h. Das Rennen wurde auf  Anhieb zum Spektakel. In der Blütezeit drängten sich 20 000 Zuschauer entlang der Strecke, auf der die europäische Rennfahrerelite, Privatfahrer und Lokalmatadoren ihr Können zeigten. In den Siegerlisten der insgesamt 38 Schauinsland-Rennen stehen unter anderem Rudolf Caracciola, Hans Stuck, Bernd Rosemeyer, Hans Herrmann, Edgar Barth, Gerhard Mitter, Rolf Stommelen und Mario Ketterer. Jener fuhr am 8. Juli 1979 mit einem Schnitt von 134,76 km/h die bis heute gültige Bestzeit auf der Bergrennstrecke. 1984 wurde das letzte Schauinsland-Rennen gestartet – auf einer verkürzten Strecke. Strenge Umwelt- und Sicherheitsauflagen bedeuteten schließlich das Aus für die Veranstaltung. Inzwischen finden wieder, in loser Folge, Schauinsland-Klassikrenntage statt – mit Rennwagenoldies und Hochleistungsprominenz.