Dissonanz
Im Sog der Bilder. In der Abgeschiedenheit des schottischen Nordens brennt man entweder Whisky oder man wird kreativ. Chris LaBrooy entschied sich für die Kunst: Der 36-Jährige erschafft an seinem Rechner fantastische Szenerien – die bevorzugten Objekte für seine 3D-Werke kommen aus Zuffenhausen.
Diese Geschichte beginnt mit einer kleinen Dissonanz. Der Stein des Anstoßes ist fünf Monate alt, eine Mischung aus Mops und Beagle und zweifellos sehr süß. Aber sein Name! Enzo! Und das, obwohl das Herrchen erklärtermaßen neben Enzo vor allem eines liebt:
Chris LaBrooy lebt mit seiner Frau Jessica, die aus Kalifornien stammt, dem neunjährigen Sohn Chase und seit Neuestem eben mit Enzo in einem Reihenhaus am Rand des beschaulichen schottischen Städtchens Ellon. Enzo freut sich ekstatisch über die Gäste, dreht sich wie ein Propeller im Kreis: Es finden nicht allzu viele Besucher den Weg in LaBrooys Heimatort, eine halbe Autostunde nördlich von Aberdeen. Ellon hat etwas mehr als 10.000 Einwohner, eine der Sehenswürdigkeiten in der Umgebung ist die Ruine von Tolquhon Castle. Ein verfallenes Monument mit nahezu unaussprechlichem Namen, aber erzählenswerter Geschichte: Ein Urahn des hiesigen Lords, ein gewisser William Forbes, ließ es in seiner heutigen Anordnung errichten, um sich seiner Feinde zu erwehren. Die Burg hat indes nie eine Kampfhandlung erlebt. Sie liegt – und diese Pointe lassen sich die Einheimischen auf keinen Fall nehmen – so versteckt, dass kein potenzieller Angreifer sie je gefunden hat.
Im Wohnzimmer der LaBrooys läuft der Fernseher, doch niemand sieht hin. Chris führt uns in eines der kleinen Zimmer im Erdgeschoss des schmalen Backsteinhauses. Ein Bücherregal, drei Stühle, ein Schreibtisch mit einem riesigen Monitor darauf plus einem Grafikboard – das ist LaBrooys Studio. Mehr braucht der Künstler nicht, um seinen fantastischen Gebilden ihre Gestalt zu geben.
Spezieller Blick auf die Realität
LaBrooy ist Produktdesigner, seinen Master hat er am renommierten Londoner Royal College of Art gemacht – eine Dreisterneausbildung. Im Anschluss an sein Studium widmete sich der Schotte zunächst dem
LaBrooy fasste bald einen Entschluss: „Stop making things!“ Die meisten Dinge brauche die Menschheit sowieso nicht, urteilt er. Seine Illustrationen dagegen schon – die Nachfrage danach ist der Beweis. Ersten Animationen für lokale Architekturbüros folgten aufwendigere Arbeiten für Ölgesellschaften in Aberdeen. LaBrooys Spezialität: lebendige Typografie. Er verwandelt reale Dinge in Buchstaben und Wörter. Mit einer Buchstabenillustration zum Thema „Made in USA“ schaffte er es sogar auf das Cover des Magazins Time. Mehr geht eigentlich nicht.
Skulpturen, die zu schweben scheinen
Doch das ist LaBrooy nicht genug. Ebenso wichtig wie die Auftragsillustrationen waren ihm von Anfang an seine freien Arbeiten. Mit ihnen erschafft er neue, eigenständige Welten. Es sind Kompositionen aus architektonisch geprägten Szenerien und Traumsequenzen, in denen Autos abenteuerliche Metamorphosen durchleben. Und um es gleich vorwegzunehmen: LaBrooys Kreationen sind nicht inspiriert von Hollywood-Blockbustern wie Transformers, Teil 1 bis unendlich. „Damit haben meine Arbeiten nichts zu tun“, sagt er sanft, aber bestimmt. „Ich baue keine Kampfroboter.“
Er startet seinen Rechner, nimmt den Stift des Grafikboards zur Hand und zieht routiniert ein paar Linien. Seine Hand bewegt sich millimeterweise: hoch, runter, nach rechts, links, wieder hoch. Binnen weniger Minuten entstehen auf dem Monitor Umrisse einer Stadtlandschaft. Eine erste Skizze, mehr nicht. „Bis zum fertigen Bild vergehen Wochen“, sagt LaBrooy, „obwohl die Rechner heute schon Enormes leisten. Du bekommst sofort ein Feedback zu deinen Ideen.“ Er demonstriert das am Beispiel eines Autos, das er zunächst in Sekundenschnelle lackiert. Als er den virtuellen Stand der Sonne ändert, wird von einem Moment auf den nächsten auch der Glanz auf dem Lack des Fahrzeugs neu gerendert.
LaBrooys Arbeit ist ein stiller Prozess, ein fast schon kontemplatives Eintauchen in Traumwelten, die dann auf dem Bildschirm Gestalt annehmen. Der Künstler mit dem dunklen, bereits etwas lichter werdenden Haar sitzt dabei sehr konzentriert vor seinem Rechner. Er skizziert nun einen
Porsche im Pool
LaBrooys 3D-Grafiken strahlen eine seltsame Ruhe und Gelassenheit aus, was einerseits mit der cleanen Illustration, andererseits mit den Sphären zu tun hat, in die er seine Objekte einbettet. Auf einer Ablage unter dem Bücherregal liegt ein A2-Ausdruck, der eine moderne Villa mit Schwimmbad zeigt. Im Pool dümpeln dicht an dicht zwölf lichtblaue 911, weich vom Wasser umspielt. Bestimmender Bestandteil solcher Motive ist die ausgefeilte architektonische Kulisse. LaBrooy inszeniert seine Skulpturen wie zum Beispiel bei dem Pool-Bild vor lässigen Case Study Houses im kalifornischen Palm Springs, aber auch auf Motelparkplätzen mit schillernden Neonreklamen oder inmitten der avantgardistischen Siebzigerjahre-Architektur japanischer Städte. Seine Werke bietet der Schotte über seine Webseite an. Einen Galeristen hat er nicht, braucht er nicht. „Noch nicht“, sagt er und grinst. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er bisher mit den Aufträgen von Agenturen und Magazinen.
Damit die Architektur so echt wie möglich wirkt, überlässt LaBrooy nichts dem Zufall. „Ich habe eine riesige Bibliothek mit allen denkbaren Materialien, Texturen und Oberflächen. Damit kann ich nahezu jedes Gebäude fotorealistisch nachbilden.“ Dennoch ist er ständig mit wachsamen Augen und seiner Kamera auf der Suche nach neuen Materialmotiven. Zum Beispiel in der nie umkämpften Burg unweit seines Hauses – die grauen Steinmauern von Tolquhon Castle fehlen ihm noch in seiner Bibliothek.
Die 20-minütige Fahrt dorthin absolvieren wir in LaBrooys rotem
LaBrooy würde sich mit dem
Text Jan van Rossem
Fotos Christian Grund