Pech gehabt? Glück gehabt!
Es ist ein historischer Moment: Dr. Wolfgang
Keine Fanfare, kein Konfettiregen, kein Tusch. Wahrscheinlich hat auch niemand geklatscht, als der 999.999.
Knapp daneben ist eben auch vorbei. Das stimmt. Und doch ist es ein großer Denkfehler, diesen schwebenden Beinahe-Zustand als etwas Negatives zu verstehen. Schon klar, niemand jubelt, wenn er den Sechser im Lotto verfehlt, weil ihm die 31 aus verschwurbelten, tiefenpsychologischen Gründen irgendwie sympathischer war als die 32 und er geburtstagsdatumshalber auf die 9 und nicht auf die 8 setzte. Wobei es am Ende auch schnurzegal ist, wie knapp man das anvisierte Ziel nun ganz genau verfehlt. Es ist wie beim Zugverpassen: Weg ist weg, perdu ist perdu, egal, ob man nun zehn Sekunden oder eine Stunde zu spät kommt.
Mit Stoffwindeln gewienert
Was ein Leben auf dem rotierenden Präsentierteller für ein Auto bedeutet, lässt sich wunderbar im Film Ferris macht blau studieren: Ferris Bueller, der geniale Schulschwänzer, hat einen Freund namens Cameron. Und dessen Vater besitzt einen – sorry – Ferrari 250 GT California Spyder, ein 500-Pferdestärken-Geschoss, das er niemals fährt, sondern eingepfercht in einem gläsernen Ausstellungspavillon hält, wie in einer besonders schicken Gefängniszelle (wo er ihn auch noch täglich mit einer Stoffwindel wienert). Bis Ferris und Cameron sich den Wagen für eine Spritztour leihen und ihn endlich dorthin bringen, wohin er gehört: auf die Straße. Gut, am Ende ist er Schrott, aber wenigstens wurde er vorher gefahren, war ein Automobil, durfte mehr sein als ein poliertes Bild, eine abstrakte Nummer.
An der großen Zahl knapp vorbeizuschrammen, raubt einem den Tusch – aber es schenkt einem die Freiheit. Darum ist die 999.999 das goldene Ticket für the one that got away. Nummer 1.000.000 ist das Museumsstück, das Sammelobjekt, die Auktionsanlage. Nummer 999.999, du bist das feine, unterschätzte Stück, das mit smartem Understatement vor all dem Trubel wegrollt, hinaus ins wilde Leben, ins echte Leben.
Die Lockerheit des Libertins
Zweiter zu sein, mag für schlichte Siegesbrünftler kein erstrebenswerter Treppchenplatz sein. Dabei ist es ein guter Deal, auf ein Stückchen des Ruhms zu verzichten und dafür die flockige Lockerheit des Libertins zu genießen, der tun kann, was er mag. Wer manchmal heimlich Next Topmodel schaut, weiß: Nicht selten starten die Zweitplatzierten im Windschatten der Siegerin richtig durch, während sich an die Erste bald niemand mehr erinnert. Jana, die Gekürte aus Staffel 6 der deutschen Ausgabe? Keine Ahnung, wer das war. Aber Rebecca, ihre Vize-Modelette, moderiert heute eine eigene TV-Sendung und sahnt Werbedeal um Werbedeal ab. Wem Next Topmodel zu schnöde ist, hier noch einmal frei nach Shakespeare: „Uneasy lies the head that wears the crown / but a deep, reposeful complacency goes with second place.“ Weswegen einige, apropos crown, vielleicht doch immer lieber Harry wären, nicht William.
All die schrecklichen, lähmenden Erwartungen, die auf der Nummer 1 liegen wie ein schnarchender Bernhardiner. Sie sind auch der Grund dafür, dass Silvesterpartys immer schlechter und gezwungener sind als die Spontanfeiern an einem beliebigen Datum, das man längst vergessen hat. Genauso verhält es sich mit der Besessenheit von runden Geburtstagen: Allzu oft geraten diese Feiern zu schauderhaft gestelzten, sich wie ein unbequemer Smokingkragen offiziös anfühlenden Abenden – kein Vergleich zu den selig-verpichelten 29., 39., 49. Gerade-nochmal-vorbeigeschrammt-Jubiläen. Die runde Null provoziert bei den Gästen oft übereifrige Moderationspraktiken, dauernd will irgendwer wissen, wie man sich denn jetzt fühle, was sich jetzt denn ändere, was man denn nun zu machen gedächte. Da sind sie wieder: der anstrengende Druck und das aufgepfropfte Tamtam.
Denn das Leben ist nun mal keine runde Zahl und nur selten eine Bühne für den perfekt getimten Auftritt, es hat Dellen, ungerade Stellen und viele kleine Knapp-Vorbeis. Manchmal holpert die Straße eben. Vor allem aber: Ein Auto wird nicht gebaut, um ausgeleuchtet im Museum zu stehen, sondern dafür, durch eben dieses herrlich unübersichtliche, unrunde Leben zu sausen. Zum Beispiel nach Südfrankreich oder in eine andere schöne Ecke dieser Welt. Im Fall des roten
Text Anja Rützel
Fotos Heiko Simayer
Rob im Glück
Rob Tenuta, 51, Handwerker aus Woodbridge, Ontario bei Toronto (Kanada), ist der Besitzer des 999.999.
1 Million 911
Er ist das Herz der Marke
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