Porsche - Farbenlehre

Farbenlehre

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Die Kommunikationsfarbe:
In dieser Farbe wird ein Modell in allen Kommunikationsmaßnahmen gezeigt. Sina Brunner prüft sie im Licht.

Dieser Porsche ist grün. Warum eigentlich?

Wer Barbara Sika und Daniela Milošević die links aufgeführte Frage stellt, der erntet zunächst ein wissendes Lächeln. Die beiden Designerinnen entwickeln bei Porsche die Farben für neue Modelle und Derivate. „Der 911 GT3 RS treibt das technisch Mögliche auf die Spitze, also musste er auch eine sehr spitz positionierte Farbe bekommen“, erklärt Barbara Sika. „Wir stimmen die Farbe exakt auf den Charakter eines Fahrzeugs ab“, ergänzt Daniela Milošević. „Die Farbe soll wie ein perfektes Kleid sein, das die Eigenschaften des Modells ideal in Szene setzt.“ Deswegen fiel die Wahl auf einen Grünton, der etwas ins Gelbliche geht. Zur Farbentwicklung gehört auch der passende Name – die Marketingabteilung taufte das helle Grün „Lizardgrün“, nach dem englischen Wort für Eidechse. Für Sina Brunner, Produktmanagerin Innovation und Farben, der perfekte Match: „Lizardgrün ist eine sehr extrovertierte Farbe, die Sportlichkeit, Agilität und Wendigkeit zum Ausdruck bringt.“ Damit passt sie in bester Weise zum neuen 911 GT3 RS. „Den fährt man schließlich nicht, um sich zu verstecken“, unterstreicht Sika.

Ob sich künftig viele GT3-RS-Fahrer beim Kauf für den ungewöhnlichen Farbton entscheiden, ist noch gar nicht ausgemacht. Ganz im Gegenteil ist den Designerinnen bewusst: Der Grünton wird polarisieren. Das darf er auch. Das soll er auch. Denn Lizardgrün ist keine gewöhnliche Farbe, sondern eine sogenannte Kommunikationsfarbe. „Darunter verstehen wir genau die Farbe, in der ein spezielles Modell in der gesamten Kommunikation gezeigt wird“, erläutert Sina Brunner, die das Design mit dem Vertrieb zusammenbringt. „Diese eine Farbe zieht sich als Highlightfarbe bei einer Weltpremiere über die ersten Werbekampagnen bis in die gesamte Produktkommunikation durch.“ Und die wichtigste Aufgabe einer Kommunikationsfarbe liegt keineswegs darin, jedem zu gefallen. Sie soll vielmehr das Außergewöhnliche und Einzigartige eines Porsche unterstreichen und auf diese Weise Aufmerksamkeit erregen. Brunner bringt es so auf den Punkt: „Der lizardgrüne 911 GT3 RS soll den Menschen ins Auge fallen und sie in den Showroom ziehen.“

Damit das gelingt, müssen die Farbdesignerinnen den Nerv der Zeit treffen. Und dabei überaus visionär sein. Denn die Entwicklung einer neuen Lackfarbe – und damit auch jeder neuen Kommunikationsfarbe – dauert mehrere Jahre. Ein Grund dafür liegt in den äußerst hohen Anforderungen, die Porsche an die Qualität der Lacke stellt. So werden beispielsweise in sogenannten Bewitterungstests die Bleche, die mit neuen Farben lackiert sind, 24 Monate lang in die Sonne gelegt.

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Teamarbeit:
Daniela Milošević und Barbara Sika (Foto oben, v. l.) begutachten ein Lackmuster des 911 GT3 RS.

Auf Herz und Nieren geprüft

Mit den Tests, die auf eigens eingerichteten Erprobungsfeldern in Wüstenregionen stattfinden, wollen die Entwickler ausschließen, dass sich ein neuer Farbton über die Zeit in irgendeiner Weise verändert. Neben der Bewitterung wird ein neuer Lack auch in vielerlei anderer Hinsicht auf Herz und Nieren geprüft – etwa seine Beständigkeit gegen Salzwasser oder Felgenreiniger. Für Hochleistungssportwagen wie den 911 GT3 RS besonders wichtig ist auch, dass der Lack möglichst unempfindlich gegen Steinschlag ist, denn er ist diesem verhältnismäßig stark ausgesetzt.

All jene Entwicklungsschritte und Testzyklen brauchen ihre Zeit. Die Designerinnen gehen dabei in drei Schritten vor: Zunächst werfen sie einen Blick zurück in die Historie eines Fahrzeugs. „Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Zukunft nicht gestalten“, weiß Sika. Die Farbexpertinnen analysieren deswegen erst einmal alle bisherigen Kommunikationsfarben eines Modells, von der Geburtsstunde bis zur direkten Vorgängerversion. „Um jedem Derivat seine unverwechselbare Farbe zu geben, dürfen wir mit dem neuen Farbton nicht zu nahe am Vorgängermodell sein“, erklärt Milošević.

Anschließend entwickeln Farbdesigner erste Ideen, die sie mit ihrer Vertriebskollegin Sina Brunner diskutieren. Welcher Farbton passt gut zum Charakter des Fahrzeugs, welcher eher nicht? Zuletzt müssen die Designer antizipieren, welche Farbe im Trend liegt, wenn das neue Modell einige Jahre später auf den Markt kommt. „Eine wichtige Inspirationsquelle ist für uns die Möbelindustrie, die mit ähnlich langem Vorlauf Farben entwickelt“, sagt Milošević. Eine weitere Hilfestellung liefert ein Blick auf die Individualfarben, die Porsche-Kunden jenseits der regulären Farbtöne für ihre Fahrzeuge bestellen. Letztlich sollte ein neues Modell farblich auch gut in die gesamte Farbpalette von Porsche passen.

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Lizardgrün:
Eine extrovertierte Farbe, die Sportlichkeit, Agilität und Wendigkeit transportiert.

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Farben mit bunter tradition
Daniela Milošević hat das Signalgelb aus den 1970er-Jahren zu ihrem Favoriten auserkoren, „ein klassischer, Porsche-eigener Farbton“. Barbara Sika ist vom Kontrast aus Vipergrün und Blutorange fasziniert, den Porsche in Werbekampagnen gezielt eingesetzt hat. Und Sina Brunner begeistert das Sternrubin aus den frühen 1990er-Jahren: Eine nur vermeintlich feminine Kultfarbe, die Frauen wie Männer anspricht.

Signalgelb
911 S 2.7 Coupé (Prototyp), 1972
Vipergrün
911 T 2.4 Coupé, 1972
Blutorange
911 S 2.4 Coupé, 1972
Sternrubin
911 Carrera RS 3.6 Coupé, 1992

In den verschiedenen Schritten destilliert das Team dann einen Vorschlag – einen möglichen Farbton in mehreren Nuancen und mit mehreren Effekten, etwa durch einen Metalliclack oder mit Perlglanzpigmenten. Auf kleinen Blechen werden die Lacke visualisiert und in einem größeren Expertenteam diskutiert, in dem Fachleute aus Produktion, technischer Entwicklung, Design, Vertrieb und Marketing zusammenkommen. „In dieser größeren Runde klären wir, welche Farbideen technisch überhaupt machbar sind“, sagt Brunner. Wichtig ist dabei auch der Blick der Designer auf alle anderen Materialien, die im Fahrzeug zum Einsatz kommen. Denn ein Farbton kann sich noch so gut für den Außenlack eignen – am Ende muss er auch im Interieur mit Leder, Alcantara und allen anderen Stoffen harmonieren. Erst wenn all diese Fragen geklärt sind, beginnt die technische Entwicklung der Kommunikationsfarbe.

Wie und warum eine bestimmte Farbe in Mode kommt, ist nie abschließend zu klären. Sicher ist aber: Es gibt wiederkehrende Zyklen. Die Modebranche gibt meist den Takt vor. Anschließend greifen die Designer von Wohnaccessoires bestimmte Trends auf, dann die Möbelindustrie. „Wenn man sich die Historie bestimmter Farben über die Jahrzehnte anschaut, kann man mit erstaunlicher Regelmäßigkeit beobachten, dass Trends immer wieder vom aktuellen Zeitgeist aufgegriffen werden“, berichtet Sika. Ein gutes Beispiel dafür ist die Farbe Weiß, die als Autolack in den 1970er-Jahren sehr beliebt war, in den 2000er-Jahren hingegen beinahe zur Tabufarbe wurde und in den 2010er-Jahren ihr Comeback erlebte. Insbesondere bei Elektrofahrzeugen ist sie heute beliebt – und soll als Kommunikationsfarbe Werte wie Reinheit und Umweltfreundlichkeit signalisieren.

Mit Bezeichnungen wie Signalgelb oder Sternrubin geht die Farbe dann eines Tages mit dem ihr zugedachten Modell den Bund fürs Leben ein. Ihre Rolle bleibt dabei meist auf Werbung und Kommunikation beschränkt – aber nicht immer. So wurde das Vorgängermodell des Porsche 911 GT3 RS in Lavaorange vorgestellt – ein Farbton, der sich in der Folgezeit in China außerordentlicher Beliebtheit erfreute und sogar zu den drei beliebtesten Porsche-Farben im Reich der Mitte aufstieg. Das zeigt: Unter günstigen Voraussetzungen wird eine Kommunikationsfarbe zum Bestseller. Sie muss nicht gefallen, darf es aber.

Text Laurin Paschek
Fotos Rafael Krötz, Porsche