Vom akustischen Fingerabdruck eines Fahrzeugs
Der Hörsinn ist von allen fünf Sinnen der differenzierteste und für die Kommunikation des Menschen von zentraler Bedeutung. Akustische Signale versorgen das Gehirn mit wichtigen Informationen. Über die Rolle von Sound sprachen wir mit Oliver Curdt, Professor für Tontechnik und Sounddesign an der Hochschule der Medien (HdM) in Stuttgart.
Für mich ist das nur schwer vorstellbar. Wie schon der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick 1969 sagte: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Selbst wenn Sie zum Beispiel in einen sehr ruhigen Raum kommen, fängt dieser an zu wirken. Es herrscht so etwas wie ein Grundrauschen, eine Spannung, der „Sound of Silence“. Völlige Stille hingegen würde Leere und Vakuum suggerieren – und Unwohlsein erzeugen.
Dank unseres Hörsinns können wir in kürzester Zeit komplexe Geräuschgebilde decodieren. Akustische Signale ermöglichen es zum Beispiel, sich zu orientieren, Tag und Nacht zu unterscheiden oder die Form von Räumen zu bestimmen. Wir können aus einem wilden Durcheinander von Geräuschen die für uns relevanten herausfiltern. Und wir erkennen in einem Gespräch, ob der Inhalt mit dem emotionalen Befinden des Gegenübers übereinstimmt. Sagt jemand etwa „mir geht es gut“, hat aber eine leidende Stimmlage, folgern wir daraus, dass das nicht der Wahrheit entsprechen kann. Bei Fahrzeugen wissen wir oft allein anhand des Motorgeräuschs, ob die Maschine rund läuft oder etwas nicht stimmt. Wir können auch dynamische Geräusche interpretieren. Zum Beispiel hören wir, wenn Wasser zu kochen beginnt.
Klänge, vor allem in Form von Musik, wirken emotional ohne Umwege über das Denken. Sie aktivieren weite Bereiche des Gehirns. Töne haben eine starke assoziative Wirkungund können „innere Bilder“ auslösen. Wir vergleichen dabei Gehörtes mit Erlebtem und Erlerntem. Das sorgt bei angenehmen Erinnerungen unmittelbar für wohliges Gänsehautfeeling.
Motorengeräusche sind gesetzlich vorgeschrieben, auch für Elektrofahrzeuge. Laut einer EU-Verordnung müssen Elektrofahrzeuge zum Schutz von Fußgängern und anderen Verkehrsteilnehmern seit Juli 2019 ein Warngeräusch abgeben. Dieses künstliche Fahrgeräusch, Acoustic Vehicle Alerting System, kurz AVAS, wird bei Geschwindigkeiten unter 20 km/h sowie beim Rückwärtsfahren erzeugt. Je nach Hersteller klingen diese Sounds sehr unterschiedlich. Sie maskieren das bei geringer Geschwindigkeit kaum hörbare Surren des Elektromotors.
Das Motorgeräusch ist der akustische Fingerabdruck eines Fahrzeugs. Bei Verbrennern transportiert es je nach Modell und Hersteller Sportlichkeit, Wildheit, Unbändigkeit und hat oft gewollt eine gewisse Rauigkeit und Schärfe. Das suggeriert Leistung und Kraft. Die Entwicklung eines solchen spezifischen Sounds ist sehr aufwendig. Er muss im Kontext mit den Wind- und Reifenabrollgeräuschen gesehen werden, die umso lauter werden, je schneller man fährt.
Im Prinzip jedes Geräusch: zum Beispiel mit welchem Ton die Fahrzeugtür oder Koffer-raumklappe ins Schloss fällt. Oder wie der Blinker klingt. Hier wird von zahlreichen Auto-herstellern das früher typische Klackern des Blinkerrelais künstlich nachempfunden. Eine besondere Rolle spielt die Hupe. Ihr akustisches Warnsignal muss sich gegen alle anderen Geräusche im Straßenverkehr durchsetzen.
Das gibt es durchaus, auch wenn man natürlich nicht pauschalisieren kann. Die Menschen in Japan und China etwa bevorzugen eine andere akustische Ästhetik als Europäer und Nordamerikaner. Doch können auch völlig neue Hörgewohnheiten erlernt werden. Ein Beispiel: Interessanterweise erfreut sich die klassische Musik Europas in Asien großer Beliebtheit.
Ich liebe das tiefe Tuckern und Blubbern großer Motoren. Auch den Sound des
Text Andrea Weller
Fotos Johannes Schaugg