Das Vorbild
In Paris feierte der 911
Blutorange wie die Sonne strahlt uns der 911
Der Christophorus – Schutzpatron der Reisenden – war uns auch bei diesem Treffen wohlgesonnen. Denn die Recherche nach einem dieser raren Elfer führte uns nicht nur in die südfranzösische Region Provence-Alpes-Côte d’Azur, wo sich Lotterer fernab des Rennalltages eine Oase der Ruhe erschaffen hat. Sondern auch zu dem RS-Modell mit der ganz besonderen Chassisnummer 0027.
Leben wie ein Rennfahrer
Mit einem großen Lächeln im Gesicht erwartet uns der Gastgeber am Garagentor. Begleitet vom unentwegten Zirpen der Grillen und zwei freudig bellenden Labradoren schlendern wir nun über das großzügige Gelände, ehe wir wenig später von Lotterer Cappuccino mit Mandelmilch serviert bekommen und im Haus zahlreiche Exponate aus der Motorsportkarriere des 40-Jährigen bestaunen: Rennhelme in Regalen, Fotografien von zahlreichen Rennstrecken dieser Welt, golden glänzende Le-Mans-Pokale. 2011, 2012 und 2014 holte der Rennsportler bei dem legendären Langstreckenrennen den Gesamtsieg, seinerzeit noch im Audi Sport Team Joest.
Lotterer lässt sich auf die Ledercouch fallen. Erst gestern war er beim Goodwood Festival of Speed, wo sein Wechsel in das LMDh-Team von
„Die Fahrt im RS 2.7 ist wie eine Reise durch die Zeit.“
Privat jedoch gibt er den Kindheitsträumen den Vorzug. „Ein klassischer 911 ist wie eine Reise durch die Zeit“, sagt er und seine Augen beginnen zu leuchten. Denn zwischen Goodwood und Marrakesch steht heute ein weiterer Rennsporttermin im Kalender. Der RS 2.7 wartet schon.
Also finden wir uns wenig später bei 35 Grad Celsius in einem rund zwei Hektar großen Lavendelfeld wieder und bestaunen das seltene RS-Exemplar. 2012 sah Lotterer das Auto mit der besonderen Chassisnummer zum ersten Mal: bei einer Auktion im Rahmen von Le Mans Classic. Ein Käufer fand sich an diesem Tag nicht, das Auto ging, ohne versteigert zu werden, zurück zu seinem Besitzer. Also schlug Lotterer später zu. „In Le Mans war ich noch ein bisschen schüchtern“, erzählt er. „Aber der Gedanke an das Fahrzeug ließ mich nicht mehr los.“ Über einen befreundeten Händler, der den Eigentümer kannte, bekam er eine zweite Chance. „Der RS war damals grün lackiert und hatte gelbe Felgen“, erzählt er. „Vorher gehörte der Wagen einem Schweizer – der hatte ihn auf Bergrennen abgestimmt.“ Also recherchierte Lotterer, denn der 911 sollte genauso aussehen wie damals, als er mit der Chassisnummer 0027 produziert wurde, ausgerechnet am 27. Oktober 1972.
Geburt der Ikone
Das ist nun 50 Jahre her. Damals hatte der Technische Geschäftsführer von
In der Ausgabe 119 schrieb der Christophorus: „Bitteschön, hier ist solch ein schnelles Tier. 5,8 für 0 bis 100. 2,7 Liter mit 210 PS, aber voll straßentauglich. Breitspuriger. Und mit aerodynamischen Finessen: einer Heckflosse, die allein 5 km/h Spitze bringt.“ Das Gewicht des Leichtbauwagens: 960 Kilogramm. In der Homologationsversion durfte der Elfer nur maximal 900 Kilogramm auf die Waage bringen. So feierte das weltweit erste Serienfahrzeug mit Front- und Heckspoiler am 5. Oktober 1972 auf dem Pariser Autosalon Weltpremiere. Der Hype war entfacht: Innerhalb kürzester Zeit waren alle Exemplare verkauft. Also wurden weitere 500 RS 2.7 aufgelegt – und noch immer gab es danach treue Kunden, die ihrem Unmut Luft machten, keines der begehrten Fahrzeuge in ihrer Garage stehen zu haben. Es wurde ein Erfolg, mit dem niemand gerechnet hatte: Bis zum Ende des Modelljahres 1973 entstanden 1.580 Exemplare des Elfers mit dem Entenbürzel. Aufgeteilt in vier Varianten, denn neben 17 Basisfahrzeugen stellte
Im RS durch die Provence
Mit einem von diesen Touring-RS fährt André Lotterer nun den Hügel hinauf nach Gordes. Seit dem 11. Jahrhundert wird das Dorfbild von dem imposanten Château de Gordes geprägt, einer Festung, die über den Dachpfannen der nicht weniger altertümlichen Häuser thront. Auf dem Markt werden regionale Spezialitäten angeboten, Käse, Nougatkreationen, Beutel mit getrockneten Lavendelblüten. Hier, in diesem Sinnbild der Provence, sind wir umgeben von Historie, fahren im legendären RS – und fühlen uns wie in einer anderen Zeit.
„Neun Jahre hat die Restauration gedauert“, erzählt Lotterer, während sich Passanten nach dem orangefarbenen Objekt umdrehen. „Aber Originalzustand ist für mich Pflicht.“ Das heißt: Ein Originallenkrad musste her, ebenso die klassischen Sitze. Der grüne Lack wurde entfernt, die Karosserie kam in ein kathodisches Bad, der Motor zu einem Spezialisten nach Belgien. Und der Heckspoiler musste erneuert werden. „Da war einer dran, aber das war ein Nachbau“, weiß Lotterer. „Das geht natürlich nicht.“ Jetzt prangt auf dem Heck wieder ein originaler Entenbürzel. Und der RS befindet sich – selbstverständlich in seiner einstigen Farbe Blutorange – wieder im Originalzustand. Rundherum? „Nicht ganz“, gibt der Rennfahrer mit einem verschmitzten Lächeln zu. „Ich wollte ein bisschen mehr Sound.“ Lotterer gibt Gas, hinaus aus der Stadt, die in der untergehenden Sonne jetzt zur pittoresken Hochform aufläuft. „Hörst du nicht den Sportauspuff?“
Text Matthias Kriegel
Fotos Frank Kayser